Sonntag, 22. April 2018

Warum nicht immer so?

Plötzlich spielt DORTMUND wieder wie Dortmund. Mit Risiko und Glanz. Trotzdem bleibt diese Mannschaft ein Rätsel.

Anders als vor einer Woche in Schalke, wo Peter Stögers leeres Gesicht Bände sprach und seine ganze Enttäuschung widerspiegelte, bildeten seine Lippen am Samstagabend ein Lächeln, ein sanftes zwar, aber immerhin. Dortmunds Trainer benutzte Vokabeln, zu deren Verwendung lange kein Anlass bestand, er schwärmte von einer "tollen Vorstellung" und war "sehr zufrieden". So wie sich Stöger vor der Partie von seinem grauen Kinnbart getrennt hatte, zog die Mannschaft den Grauschleier weg, der so lange bleischwer über ihrem Fußball gelegen hatte.

Dortmund spielte gegen Leverkusen wieder wie Dortmund, wie Dortmund in Glanzzeiten. Das macht einen schnellen Griff in den Phrasenschatz nötig: Selten hat ein Team so extrem seine zwei Gesichter gezeigt wie die Borussia innerhalb von nur einer Woche. Das müde, antriebs- und herzlose beim ewigen Rivalen aus Gelsenkirchen und das lebendige, kämpferische und fantasievolle in dem von Stadionsprecher Norbert Dickel zum "Schlüsselspiel" erhobenen Königsklassen-Duell mit Bayer 04.
Dortmund feierte die Rückkehr des Spektakelfußballs und huldigte Marco Reus und Jadon Sancho, den Großmeistern von Dribbelkunst und Geschwindigkeit.

Der um seine Reputation ringende Stöger wird stille Genugtuung empfunden haben: Er ging mit der Aufstellung ins Risiko - und wurde für seinen Mut belohnt. Der 52-Jährige widerlegte seine Kritiker, die ihn so gern in die Schublade des Defensivpredigers stecken. Endlich wieder Fußball zu spielen, zugegeben mit freundlicher Unterstützung eines erstaunlich naiven Gegners, das war ein begrüßenswerter und überfälliger Ansatz, der gleichermaßen allgemeine Anerkennung wie Rätselraten auslöst: Warum nicht immer so?

Auf der Suche nach Gründen landet Sportdirektor Michael Zorc beim vollkommen wilden Hinrunden-4:4 gegen Schalke: "Das war die Saison in einem Spiel. Die nicht vorhandene Konstanz ist unser Problem." Auf die Wiederherstellung dieser Stabilität wird auch Sebastian Kehl in Zukunft sein Augenmerk legen: Nach Abschluss der letzten Gespräche soll er bald seinen Vertrag als neuer Leiter der Lizenzspielerabteilung unterschreiben.

Als Augenzeuge des Geschehens am Samstag entging Kehl nicht, dass sich ein fundamental wichtiges Thema wie eine Gewitterwolke über das Spiel geschoben hatte: die Schmach von Schalke. Fans der Südtribüne schleuderten den Spielern deshalb ihre ganze Verachtung entgegen. "Kein Wille, keine Leidenschaft, kein Mut, keine Mannschaft", wetterten sie und fällten ein im Grunde vernichtendes Urteil: "Niemand verkörpert Borussia Dortmund so wenig wie ihr."

Dieser totale Liebesentzug traf die BVB-Profis mit voller Wucht; es gegen Leverkusen besser zu machen geriet deshalb auch zu einer Frage der Ehre. "Wenn du ins Stadion kommst und merkst, wie sauer die Fans waren: Das pusht zusätzlich", verrät Julian Weigl. Eine Spur drastischer gestand Maximilian Philipp, dass die vernichtende Kritik der Gelben Wand der Mannschaft Beine gemacht habe: "Jetzt hat auch der Letzte geblickt, dass wir uns den A… aufreißen müssen."

Zur Überraschung derer, die schon eifrig an Nachrufen feilten, inszenierte die Borussia ein Fest des Actionfußballs - schnell, ideenreich, zielstrebig. Wo ihre Spiele so oft mühsam wie Steineklopfen wirkten, schwebten die Stars nun über den Rasen, kreativ und voller Energie. Erfreut notierte Zorc eine "ganz andere Körpersprache, ganz andere Zweikampfführung und ein ganz anderes Tempo".

Doch aus der Erfahrung dieser Jojo-Saison mit all ihren Höhen und Tiefen klug geworden, verschafft dem Sportdirektor nicht mal ein Fünf-Punkte-Vorsprung Sicherheit. "Das wird eng", prophezeit Zorc und verweist im Rennen um die Champions-League-Qualifikation auf das "relativ schwere Restprogramm" mit Partien gegen Bremen, Mainz und Hoffenheim. Die Situation sei "weiter gefährlich", sagt Reus, der noch eine Lanze für das arg gerupfte Kollegium bricht: "Wir haben das Gerede beendet, dass wir keinen Charakter und keine Mentalität haben."